Charakterisierung des Faschismus

als Herrschaftsoption kapitalistische Gesellschaften

Der historische Faschismus war ein Durchsetzungsstadium der Moderne, in dem der Kapitalismus einen Durchsetzungsschub erhielt. Modernisierung ist hier nicht im Sinne der Geschichtsrevisionisten zu verstehen, denen es im Wesentlichen um eine Relativierung und Aufwertung des Faschismus ankommt. Vielmehr geht es um eine Einordnung des Faschismus in Geschichte, Struktur und Strategie der kapitalistischen und imperialistischen Durchsetzungsgeschichte. Die Weiterentwicklungen im Interesse kapitalistischer Verwertungsinteressen lassen sich ohne den geschichtlichen Kontext der kapitalistischen Produktionsverhältnisse genauso wenig verstehen wie die Kontinuitäten nach der Zerschlagung des historischen Faschismus.

In Deutschland wurde der Nationalsozialismus Anfang der 30er Jahre notwendig zur Rettung und weiteren Durchsetzung des Kapitalverhältnisses, als der Kapitalismus weltweit in eine Krise geriet und zudem noch durch die sozialistische Revolution bedroht schien.

Die NSDAP, die zwar kleinbürgerlich geprägt war, aber unter der deutschen Gesamtbevölkerung eine Massenbasis entwickelte, geriet zur Vorläuferin der heutigen „Volksparteien“. 1933, nach der Übergabe der Macht an die Nationalsozialisten, unterstützten alle Fraktionen des Kapitals den Nationalsozialismus. Durch seine Biologisierung der sozialen Verhältnisse schuf er das Konstrukt der „Volksgemeinschaft“, innerhalb derer das deutsche Individuum nach dem Leistungs- und Konkurrenzprinzip gleich geschaltet war und ausgerichtet wurde auf die Produktion für das ideelle Gesamtinteresse Nationalökonomie, verschleiert ausgedrückt durch Volk, Nation, Blut & Boden, verkörpert durch die abstrakte Gestalt des Führers. Die eigentlich gesellschaftlich konstituierten Wertsetzungen, Hierarchien und Konkurrenzen wurden nun abgeleitet aus Rasse, Nation und Geschlecht. Die letzten feudal-klerikalen Strukturrelikte aus wilhelminischen Zeiten wurden durch die industrielle Massenfertigung, die Normierung und Typisierung in der Produktion und die Durchsetzung neuer Technologien und Fertigungsmethoden hinweggefegt, die Arbeiterbewegung zerschlagen, Kommunistlnnen, Sozialdemokratlnnen und Gewerkschafterlnnen verhaftet und z. T. ermordet die Erfolge der Frauenbewegung zunichte gemacht. Bürokratische Verwaltung, totale Registrierung, staatliche Geburten-, Bevölkerungs- und Städteplanung und das Befriedungsystem der staatlichen Sozialleistungen für Deutsche hielten Einzug, die ersten Strukturen des Massenkonsums wurden gelegt (Ausbreitung der Massenkommunikationsmittel, z.B „Volks“empfänger, Herausbildung der Automobilindustrie als Schlüsselindustrie mit Autobahnbau und „Volks“wagen). Die formale Trennung von politisch-parlamentarischer Verwaltung und Kapital wurde beseitigt, der historische Pakt mit dem Staat als unmittelbarem Exekutor kapitalistischer Verwertungsinteressen vollzogen.

Judenhaß und antijüdische Pogrome, die in ihrer langen Geschichte vor allem die Funktion der Konstruktion eines homogenen christlich deutschen Volkes hatten, das sich in Abgrenzung zum Judentum legitimiert und gesellschaftliche und persönliche Widersprüche in „die Juden“ projiziert, um sie durch Ghettoisierung und Pogrome zu vernichten, bekamen mit Beginn der Moderne und dem Aufkommen des Nationalsozialismus einen völlig neuen Charakter. Die Widersprüchlichkeit sozialer Verhältnisse wurde biologisiert und die verkürzte Geld- und Kapitalkritik der Nazis antisemitisch besetzt. Der Doppelcharakter der Ware und der Arbeit wurden biologistisch aufgespalten: die Überhöhung der „wertschaffenden, konkreten, ehrlichen deutschen Arbeit“ wurde ausgespielt gegen die „raffende, unwerte, abstrakte Zinstreiberei der Juden“. Die als Bedrohung empfundenen Entwicklungen der Moderne Verwissenschaftlichung, Verstädterung, Abstraktion u.ä. wurden im „Juden“ personifiziert, die Vernichtung dieser Erscheinungen mit der physischen Vernichtung der angeblich Verantwortlichen gleichgesetzt.

Der Nationalsozialismus setzte sich durch mit äußerem Zwang, Vernichtung und totaler Konsequenz. Doch wie bei jedem Modernisierungsschub wurde nach der Niederschlagung des Nationalsozialismus der äußere Zwang überflüssig, weil die Strukturen bereits gesellschaftlich verinnerlicht waren. Faschismus und Kapitalismus sind keine Alternativen, sondern Faschismus ist nur besondere Erscheinungsform des Kapitalismus. Sie diskreditieren sich durch ihre gemeinsamen bürgerlich-kapitalistischen Basisformen gegenseitig. Die BRD ist somit legitime Erbin des Nationalsozialismus. Sie übernahm in ihrer „Stunde Null“ die Erbmasse und baut strukturell und ideologisch auf diesem Erbe auf.

Dabei sind die zahlreichen personellen Kontinuitäten nur die besonders augenfällige Bestätigung der eigentlichen Kontinuität in der deutschen Nachkriegsgeschichte: Das Wesen und die Struktur der kapitalistischen Ökonomie wurden ebenso übernommen und weiterentwickelt wie die Formen ihrer Verwaltung und Absicherung.

Die kapitalistische Eigentumsordnung, die Basisformen Warenproduktion und Mehrwertschöpfung, der „freie Markt“ und die betriebswirtschaftliche Vernutzungslogik wurden wie im Nationalsozialismus die Grundbausteine für das Fundament der BRD. Die Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung während der Zeit des Nationalsozialismus wurden auf die veränderten Bedingungen der Nachkriegszeit angewandt. Der zivile Nutzen der BRD aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus wurde und wird besonders in den Bereichen Städtebau, Bevölkerungspolitik, Geburtenplanung, Innere Sicherheit, Medizin, Raumfahrt, Sozialpolitik und soziale Befriedung deutlich.

Die Vernichtung der Wurzeln des Faschismus bleibt unser Ziel!
Nur mit der Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft wird Faschismus als Herrschaftsmodell vernichtet
werden.

Der Umgang mit ihrem Erbe fällt der BRD nicht leicht. Sie versucht, jede Parallele zum Nationalsozialismus zu leugnen (Bruch, Stunde Null, Neuanfang), aber auch jede Alternative zum bürgerlich-kapitalistischen System. So versucht sie sich einerseits vom Nationalsozialismus zu distanzieren, beruft sich aber indirekt auf ihn wenn sie behauptet, daß es zur bürgerlichen Demokratie und freien Marktwirtschaft keine Alternativen gibt. Es gelingt ihr diese logische Unmöglichkeit, in dem sie die Methode anwendet, die charakteristisch ist für bürgerliche Ideologie wie für Orientierung der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt: Die Form wird verobjektiviert und zum Selbstzweck gemacht, der konkrete Inhalt wird dabei unwichtig oder raus gekürzt. So geschieht dies in der Ideologie des Totalitarismus, die es für den bürgerlichen Staat möglich macht, sich sowohl vom Nationalsozialismus als auch von seinen linken Gegnern zu distanzieren. Beide werden über die angeblich ähnlichen Formen als Ganzes gleichgesetzt, die eigene inhaltliche Verwandtschaft fällt bei diesem Vergleich der Formen raus. Durch die Beliebigkeit, die entsteht, wenn dem betrachteten Gegenstand die inhaltliche Substanz entzogen wird, können nun sogar Faschismus und Kommunismus gegenseitig für ihre Existenz verantwortlich gemacht werden. Das propagierte Bild von der bürgerlichen Mitte als unbeteiligtem Beobachter, der nur kopfschüttelnd daneben steht, wenn die Extreme sich gegenseitig hoch schaukeln, ist bekannt.

Das Verhältnis der BRD zu Nationalsozialismus und Widerstand könnte jedoch nicht treffender ausgedrückt werden als durch die BRD selber: sie beruft sich auf die „Männer des 20. Juli“. Deren Handeln war nicht durch die Ablehnung des Nationalsozialismus motiviert, sondern durch die Konsequenzen seines Scheiterns.

April 1995