Die DDR und der 8. Mai

Anmerkungen zum staatlichen Geschichtsverständnis

Der Versuch, die Sichtweise der DDR auf den II. Weltkrieg und dessen Ende am 8. Mai 1945 darzustellen, kann nur eine subjektive Wiedergabe der offiziellen und öffentlichen, i.S. von veröffentlichten, Meinung sein. Daneben gab es akademische Forschung, die die Grenzen ideologische Geschichtsverarbeitung überschritt, und es gab sicher auch zahllose LehrerInnen, Dozentlnnen etc. in der DDR, die im Detail um eine korrektere Darstellung der besprochenen historischen Ereignisse bemüht waren.

Aus der Subjektivität unserer Darstellung erklärt sich damit auch, daß wir auf jeden Quellenverweis verzichten.

Die DDR-Geschichtsschreibung sah sich in der Tradition der Komintern und der KPD. Die Reflexion des II. Weltkrieges durch die DDR erfolgte in allen Phasen ihrer 40-jährigen Geschichte ausschließlich zur Legitimation des bestehenden Staus Quo und der SED zur Rechtfertigung ihres alleinigen Machtanspruches.

Damit steht der 8. Mai symbolhaft für die Geburtsstunde des „ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden“.

Historisch wurde die Entstehung der DDR durch folgende Komponenten bestimmt:

Zonenaufteilung des postfaschistischen Deutschlands durch die Beschlüsse von Jalta im Januar 1945.

Volksfrontkonzept und daraus resultierend der Wille, in den durch die Sowjetunion (SU) besetzten osteuropäischen Ländern sogenannte Volksdemokratien (Koalitionsregierungen aus allen antifaschistischen Kräften unter Hegemonie der Kommunistischen Parteien) zu errichten „Nationale Front“ der SBZ/DDR.

Truman-Doktrin2 und Rollback-Strategie3 der imperialistischen Westmächte, später die Hallstein-Doktrin (Alleinvertretungsanspruch) der BRD.

Die „Schuld“ am Entstehen der DDR wurde dem Westens zugewiesen. Die Separierung der drei Westzonen habe eine antifaschistisch-demokratische Entwicklung in Westdeutschland verhindert. Das taktische Verhältnis Stalins zur DDR (Stalin-Note 1952: Tausch der Souveränität der DDR gegen gesamtdeutsche Wahlen) wurde dagegen verschwiegen.

Auf dieser Grundlage wurde der 8. Mai als der Tag der bedingungslosen Kapitulation Hitlerdeutschlands und der Befreiung des deutschen Volkes vom Faschismus durch die Sowjetarmee und ihrer Verbündeten begangen.

Der II. Weltkrieg wurde als internationaler Kampf gegen Nazideutschland verstanden. Den Westalliierten wurde dabei ein taktisches Verhältnis zum Bündnis mit der SU zugeordnet. Alles Progressive stand danach automatisch auf Seite der Sowjetunion. Alles, was nicht in dieses Gut-Böse, Nazideutscher-Antifaschist-Schema paßte wurde in der Regel verschwiegen.

Die Sowjetunion mußte die Hauptlast des Krieges (20 Millionen Tote) und den Hauptanteil an der militärischen Niederschlagung Deutschlands tragen. Dieser Fakt wurde zu Recht immer wieder in den Mittelpunkt der Darstellungen gerückt.

Die konkreten gesellschaftlichen Verhältnisse in der SU wurden entweder ausgeblendet oder beschönigt. Eine Auseinandersetzung mit dem Stalinismus fand bis zur Aera Gorbatschow nicht statt bis dahin wurde der Stalinismus lediglich als eine Zeit übertriebenen Personenkultes dargestellt später, während der Diskussionen zum 70. Jahrestag der Oktoberrevolution 1987, selbst dies relativiert und Stalin als der grofle Feldherr (Generalissimus) heroisiert.

Die Sowjetunion galt nicht nur als Befreierin, sondern darüber hinaus kritiklos als das große Vorbild für die Errichtung des „Sozialismus“ auch auf deutschem Boden.

Mit dem Ausgang des II. Weltkrieges wurden nach geltender Meinung die Voraussetzungen für eine neue Phase revolutionärer Veränderungen auf der Welt geschaffen.

Entstehung des „Sozialistischen Weltsystems“ (Warschauer Vertrag und andere „sozialistische Staaten“, sprich Staatssysteme unter Führung kommunistischer, moskautreuer Parteien).

antikoloniale Befreiungsbewegung (Solidarität, sprich diplomatische, materielle und finanzielle Unterstützung von nationalen Befreiungsbewegungen)

Aufschwung der revolutionären und progressiven Bewegungen in den kapitalistischen Ländern.

In diesem Sinne erklären sich alle Darstellungen über den II. Weltkrieg und vor allem alle Unterlassungen, die die Entstehung eines zwar parteilichen, aber objektiven Geschichtsbildes verhindert haben.

Wenn wir im folgenden unserer Meinung nach frappierende Fehldarstellungen der DDR-Geschichtsschreibung stichpunktartig aufzeichnen, dann nicht, weil wir den Anteil der SU am Sieg über den deutschen Faschismus relativieren wollen, sondern weil wir glauben, daß eine Trennung zwischen den objektiven Leistungen der am Krieg beteiligten Menschen und den subjektiven Intentionen, den machtpolitischen Interessen der sowjetischen Außenpolitik notwendig ist.

Der Krieg gegen die Sowjetunion

Bei der Schilderung des militärischen Anteils der Sowjetunion an der Niederringung des deutschen Faschismus wurden die Geschehnisse vor dem Überfall Nazideutschlands auf die Sowjetunion im Juni 1941 und ihre Folgen in den ersten Kriegsmonaten geklittert. Weder war die Rede von der objektiven Schwächung der Roten Armee durch die Liquidation fast des gesamten Führungskorps im Zuge der „Großen Säuberungen“ in den Jahren 1937/38, dem fast die gesamte Generalität und über 30000 Offiziere zum Opfer gefallen waren, noch von den Nebenbestimmungen des Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffsvertrages 1939, der faktisch eine Aufteilung des Ostseeraumes in Interessensphären beider Vertragspartner bedeutete. Offiziell als diplomatischer Schachzug sowjetischer Auflenpolitik gefeiert, der der Sowjetunion noch ein paar Monate des Friedens und der Vorbereitungen gegen den, alles in allem unvermeidlichen Krieg gegen Deutschland gebracht hätte, bedeutete er tatsächlich die Annexion Ostpolens im Herbst 1939, die Angliederung der baltischen Republiken Estland, Litauen und Lettland, den Überfall auf Finnland im Winter 193 9/40 (da sonst finnische Kanonen Leningrad hätten erreichen können) und die Hinrichtung polnischer Offiziere in Katyn 1940.

Verheerend wirkte sich die Rechtfertigungspolitik der Komintern :n den Kommunistischen Parteien Europas und bei sympathisierenden Antifaschistlnnen aus. Wieder und wieder vollzog sie eine taktische Wendung nach der anderen. Konsequenterweise wurde dann natürlich auch die Auslieferung emigrierter deutscher Antifaschistlnnen an Hitlerdeutschland verschwiegen.

Die anfänglichen Niederlagen der Roten Armee nach dem 22. Jun 1941 wurden als strategischer Rückzug interpretiert. Der Ignoranz den deutschen Angriffsvorbereitungen gegenüber wurde die Legende vom „heimtückischen Überfall“ auf ein friedliebendes, blühendes Land gestellt.

Bündnis der Sowjetunion mit Großbritannien, Frankreich und den USA

Bei der Charakterisierung der Antihitlerkoalition ging es der DDR-Geschichtsschreibung vorrangig darum, den während des Krieges unter dem Banner der Volksfront vertuschten Klassencharakter der Auseinandersetzungen darzustellen, sprich, den grundsätzlich antisowjetischen Kurs der Westalliierten schon an konkreten Kriegshandlungen zu beweisen. Hervorgehoben wurden deshalb die

Fehlleistungen der Westalliierten, wie:

die Nichtbereitschaft vor 1939 mit der SU Beistandsverträge gegen Deutschland einzugehen

das Hinauszögern der Eröffnung der Westfront

die Luftangriffe auf zivile Ziele von Februar bis April 1945, die als militärstrategisch sinnlos dargestellt wurden. Zweck sollte es gewesen sein, die Infrastruktur der von der Roten Armee zu besetzenden Gebiete nachhaltig zu zerstören.

Weitgehend unterschlagen wurde die militärische und finanzielle Unterstützung der SU durch die Westalliierten, auch wenn diese nur 10 % des vereinbarten Bedarfs lieferten.

Widerstand in den von den Nazis besetzten Gebieten

Für die DDR-Historie war die Triebkraft des Widerstandes der Haß gegen die Faschisten und die Liebe zur Sowjetunion“ dem „Vaterland aller Werktätigen“. Die entscheidende Rolle politisch organisierter WiderstandskämpferInnen in den Untergrund- und Partisanlnnenbewegungen wurde selbstredend betont, dabei aber die Differenziertheit der in den Widerstand einfließenden Strömungen unterdrückt (,‚Führer waren immer die Moskau-treuen Kommunisten.“).

Ideologische Gründe führten dazu, bestimmte Gruppen im Widerstand unterzubewerten. Die Ursachen für die Unterbelichtung von Frauen im Widerstand sind in den patriarchalen Rollenmustern, denen Frauen auch im Realsozialismus ausgesetzt waren, zu suchen. Das gängige Bild von der Widerstandskämpferin war das der Vertrauten und Helferin ihrer Genossen. Sie vollzog Kurierdienste und arbeitete aufopferungsvoll für die Front aber in der Etappe.

Die Rolle, die selbstorganisierte, von regulären Verbänden unabhängige Partisaneneinheiten im Kampf gegen die deutschen Okkupanten und ihre einheimischen Vasallen spielten, wurde teilweise vertuscht. Seinen Ausdruck fand dies im Verschweigen der Ursachen und Umstände z.B. des Bruchs mit Titos Jugoslawien, aber auch der verschwiegenen Balkanvereinbarungen zwischen Stalin und Churchill4 oder im taktischen Verhalten gegenüber der slowakischen Volksbefreiungsarmee.

In ähnlicher Weise wurde der jüdische Widerstand quasi verschwiegen. Tradierter Antisemitismus in Form eines vulgären Antizionismus mögen hier die Beweggründe gewesen sein.

In keiner Weise wurde auf die Tatsache eingegangen, daß Teile der Bevölkerung in den von den Deutschen besetzten Gebieten, auch in der SU, mit den Okkupanten kollaborierten.

Widerstand in Deutschland und von Deutschen im Ausland

Es lag im Selbstverständnis der DDR, daß die Einflußnahme des deutschen, namentlich des kommunistischen Widerstandes überbetont wurde. Die Führer des antifaschistischen Deutschland mußten noch im Nachhinein ihre Rolle bei der Überwindung des Faschismus herausstreichen, um somit auch von ihrem konkreten historischen Versagen abzulenken.

Die Einheits- und Volksfrontpolitik wurde danach generell schon während des III. Reiches praktiziert, die Unbestimmtheit der Aussagen der Auslands-KPD Führung zu diesen Komplexen wird verschwiegen, Beschlüsse der Komintern in den Darstellungen vordatiert. Die tiefen Klüfte zwischen den Arbeiterparteien werden verkittet, vorherrschend war das Bild von den sich die Einheit der Arbeiter klasse schwörenden kommunistischen, sozialdemokratischen und christlichen Arbeitern in den Folterkellern der Nazis.

Hauptträger der Volksfrontpolitik der KPD in der SU war ab 1943 das Nationalkomitee Freies Deutschland als Sammlung von vorwiegend Kriegsgefangenen mit dem Ziel der Umschulung und des Propagandaeinsatzes an der Front.

Die antifaschistischen Bestrebungen im westlichen Ausland blieben auf die progressiven bürgerlichen Vetreterlnnen (v.a. künstlerische und wissenschaftliche Intelligenz) beschränkt, der sozialistische und kommunistisch organisierte Widerstand (z.B. Wollenberger in Paris) blieb unerwähnt. In den 80-er Jahren erlebte die Würdigung des bis dahin nur randlich erwähnte konservative Widerstandes (Kreisauer Kreis) eine Blüte.

Aus der Klassenanalyse des Faschismus durch die Komintern (NSDAP Partei des Kleinbürgertums) wurde geschlußfolgert, daß die „besten Teile der deutschen Arbeiterklasse“ dem Nationalsozialismus nicht anheimgefallen wären, das „bessere Deutschland“ repräsentierten und nur auf die Befreiung durch die SU warteten, um danach ein friedliches, demokratisches Deutschland aufzubauen

Für das tatsächlich vorhandene tiefe Mißtrauen, daß die seit Mitte der dreißiger Jahre in Moskau weilenden KPD-Kader jedem Ansatz antifaschistischer Aktivität in Deutschland, weil nicht kontrollierbar, entgegenbrachten, stand die Auflösung der Antifa-Komitees durch die „Moskauer Gruppen“ (Ulbricht & Gen.) im Mai/Juni 1945.

US-amerikanische Truppen und Soldaten der Roten Armee treffen an der Elbe aufeinander. Damit war die militärische Niederlage des deutschen Faschismus endgültig besiegelt. Einige Tage später, am 8. Mai 1945, wurde die bedingungslose Kapitulation bekannt gegeben.

Fazit

Die DDR-Geschichtsschreibung, die weitgehend identisch mit der der UdSSR war, hatte sich von den Traditionen der internationalen Linken (Internationalismus, weltrevolutionärer Prozeß, Klassensolidarität) aus der Zeit vor der Degradierung der III. Internationale zum Instrument der Stalin‘schen Außenpolitik, gelöst.

Das Agieren der kommunistischen Parteien wurde trotz zahlreicher Wendungen und Kreisel als das einzig richtige, dazu auch noch wissenschaftlich begründete Vorgehen gewertet. Schlimmer noch: alle alternativen Denkansätze wurden, immer im Nachhinein, als Abweichungen gebrandmarkt und ihre VertreterInnen nicht selten physisch, zumindest aber politisch vernichtet.

Die herrschende Ideologie war nicht mehr das theoretische Gerüst zur Analyse gesellschaftlicher Prozesse, sondern diente ausschließlich zur Zurechtdeutung des Bestehenden. Die marxistische Terminologie wurde weitgehend als Hülle mißbraucht Dort, wo eigene Fehler hätten eingestanden werden müssen, wo eine sachliche historische Analyse notwendig gewesen wäre, wurde diese durch eine schwülstige, irrationale Metaphorik ersetzt.

Die Herrschenden in den realsozialistischen Ländern sind weder historisch noch gesellschaftlich-theoretisch unser Bezugspunkt. Wir halten deshalb eine Auseinandersetzung und eine realistische Sicht auf die negativen Seiten sowjetischer Politik vor, während und nach dem II. Weltkrieg für notwendig. Auch die geschichtsrevisionistische Offensive der BRD-Eliten sollte uns davon nicht abhalten.

Antifaschistische Aktion Plauen

Aufgrund organisatorischer Schwierigkeiten und inhaltlich schwerwiegender Widersprüche einiger Mitgliedsgruppen zu diesem Text, ist er der einzige, der mit Gruppennamen gekennzeichnet wird, da eine tiefergehende Diskussion zum Thema zu diesem Zeitpunkt nicht geleistet werden kann.

Fußnoten:

1 Konferenz von Jalta; Treffen Stalins, Churchills (britischer Kanzler) und Roosevelts (US-Präsident) über die Nachkriegsordnung in Europa, Aufteilung Deutschlands und Berlins in 4 Besatzungszonen.

2 Truman-Duktrin; nach dem US-Präsidenten benannte Politikrichtlinie, nach der sich die gesamte westliche Außenpolitik gegen die SU zu richten habe und jede Zusammenarbeit einzustellen sei.

3 Rollback; Zurückrollen des sowjetischen Einflußbereiches in Osteuropa, am Ende Liquidation der kommunistisch geführten Volksdemokratien und der SU.

4 Bei den Vereinbarungen zwischen der SU und Großbritannien über die Nachkriegsordnung auf dem Balkan war unter anderem die Verteilung der Macht zwischen den kommunistisch-sozialistischen Parteien und den bürgerlichen Parteien in den „demokratisch“ zu wählenden Parlamenten der einzelnen Staaten abgesprochen wurden. So wurde eine kommunistische Majorität für Rumänien und Bulgarien, eine bürgerliche (70 %) für Griechenland fixiert Die griechischen Partisanenverbände, die weite Teile ihrer Heimat befreit hatten, lehnten sich 1945 gegen diese Regelung auf. Es kam unter Mithilfe britischer Truppen zur Entwaffnung der Partisanlnnen und in der Folge zu einem jahrelangen Bürgerkrieg. Die Sowjetunion versagte den griechischen Aufständischen jede Unterstützung.

April 1995