Totalitarismus

Grundlage des staatlichen Anti-Antifaschismus

Um den 8. Mai 1995, dem 50. Jahrestag der militärischen Niederschlagung des Nazi-Faschismus, wird es eine Reihe von hochoffiziellen staatlichen Gedenkfeiern geben. Feiern, die vermitteln sollen, daß die BRD keine Probleme mehr mit ihrer Vergangenheit hat und sich zudem in einer Widerstandstradition gegen den Nationalsozialismus sieht.

Warum und warum jetzt?

Ziel seitens herrschender Kreise in der BRD ist es ähnlich wie im letzten Jahr mit dem Gedenken an die „Männer des 20. Juli 1944“ sich ein antifaschistisches Image zu geben. Dies soll vor allem eine außenpolitische Wirkung erzielen; ein deutliches Signal muß her jetzt, da Deutschland „wiedervereinigt“ wurde um wieder einen Platz an der Seite der großen imperialistischen Länder im Rahmen des europäischen Blocks einzunehmen. Der „Sonderstatus“, hervorgerufen durch die eigene Vergangenheit, soll endlich abgestreift werden, um die Profitinteressen des deutschen Kapitals nicht nur politisch und ökonomisch durchzusetzen, son dern in letzter Konsequenz auch wieder offen militärisch.

In der Wirkung nach innen reihen sich diese Feiern ein in eine PoLtik, die sich seit Bestehen der BRD gegen den linken antifaschistischen Widerstand richtet. Die plötzliche „antifaschistische Initiative“ des staatlich inszenierten Gedenkens am 8. Mai soll bewirken, daß linker antifaschistischer Widerstand überflüssig erscheint.

Derzeitiger Ausdruck der politischen Linie herrschender Politik ist es, auf der einen Seite der Opfer des Holocaust zu gedenken und auf der anderen Seite gleichzeitig eine umfassende Umorganisierung der KZ-Gedenkstätten auf dem Boden der ehemaligen DDR vorzunehmen. Zweck dieser Initiativen ist die Säuberung des historischen Widerstands von „kommunistischen Elementen“. Aktuell geht es darum mit der historischen Umdeutung und Entwertung des kommunistischen Widerstands dem aktuellen linken/antifaschistischen Widerstand die Legitimation zu entziehen.

Beispielhaft für das „antifaschistische Widerstandsverständnis“ der BRD war der Umgang mit dem 50. Jahrestag des Hitler-Attentats vom 20. Juli 1944 im letzten Jahr. Die „Männer des 20. Juli“ (um Claus Graf Stauffenberg) können zur Legitimation einer „sauberen antifaschistischen Tradition“ der BRD jenseits des kommunistisch geprägten Antifaschismus, auf den sich beispielsweise die DDR bezog, herhalten.

Die Sorge der Offiziere um „das deutsche Vaterland“, das „der Führer“ so leichtfertig ins Verderben stürzte, das Ziel, mit dem Hitler-Attentat die deutsche Vormachtstellung in Europa zu retten, trifft sich mit den neuerlichen deutschen Hegemonialbestrebungen (Einsatz der Bundeswehr im Ausland).

Für die Hitler-Attentäter vom 20. Juli 1944 war die Triebfeder ihres Handelns nicht die Ablehnung des faschistischen Staates, sondern die Konsequenzen seines Scheiterns. Sie hatten das erklärte Ziel, ein mögliches kommunistisches Deutschland mit Hilfe der West-Alliierten abzuwenden. Die Identifikation mit ihnen läuft deshalb nicht Gefahr, Inhalte und Parolen des Widerstands der Arbeiterlnnenbewegung zu transportieren. Dementsprechend wurde bei der Verabschiedung der Alliierten aus der BRD im letzten Jahr den drei West-Alliierten in erster Linie für den gemeinsamen Sieg über den Kommunismus und nicht für die Zerschlagung des Nationalsozialismus gedankt.

Ideologische Grundlage all dieser Politik ist die Totalitarismusthese.

Zum historischen Hintergrund

SPD-Wahl-Plakat von 1924 aus Hamburg. Schon hier finden sich die Elemente des Totalitarismus

Mit Blick auf die Situation am Ende der Weimarer Republik ist der geflügelte Satz „Ist Bonn Weimar?“ bekannt geworden. Gemeint ist damit, daß die vermeintlichen Demokraten zwischen den Extremen rechts“ und „links“ aufgerieben worden seien und diese historische Konstellation dazu geführt habe, daß sich der Faschismus aufschwingen konnte. Die Linke, bzw. die Kommunistlnnen sollen dafür verantwortlich gemacht werden, daß die Faschisten an die Macht gelangen konnten.

Die Totalitarismusthese beinhaltet aber mehr als nur die Verkehrung historischer Tatsachen bezüglich der Machtübertragung auf die Faschisten im Januar 1933. Bezogen auf die Gegenwart bedeutet das beispielsweise nichts anderes, als daß Rechte und Linke als „extremistische Gewalttäter“ etikettiert in einen Topf geworfen werden und den Linken letztendlich die Schuld am (erstarkenden) Rechtsextremismus gegeben werden soll.

Zentraler Inhalt dieser „Analyse“ ist das Gleichsetzen faschistischer und sozialistischer Systeme. Die Totalitarismusthese fragt damit nicht nach dem gesellschaftlichen und sozialen Inhalt und den Zielen politischer Systeme oder der Motivation des Handelns gesellschaftlicher Klassen, sondern bleibt bei der Untersuchung der Formen zumeist der der Unterdrückung/Repression stehen.

Frei nach dem Motto: Faschisten gehen gewaltsam gegen den Staat vor, Linke sind auch militant und gegen den imperialistischen Staat, das ist dann wohl das Gleiche.

Die Totalitarismusthese ist immer wieder die ideologische Grundlage der Beurteilung historischer Ereignisse nach der Frage der Gewalt (der gegenüber dem Staat) und nicht nach den Inhalten. Sie verhindert somit eine tatsächliche Analyse.

Die Wurzeln dieser „Theorie“ liegen bereits in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts. Mit dem Aufkommen des Faschismus und der Entwicklung der Sozialdemokratie von einer grundsätzlich systemoppositionellen Partei hin zu einer staatstragenden entstand sie in enger Beziehung. Totalitarismustheorie ist nichts anderes als die staatstragende Ideologie, die sich mit der Änderung der Rolle der Sozialdemokratie entwickelte, nämlich vor dem „Dilemma“ zu stehen, mit einer linken revolutionären Opposition konfrontiert zu sein, ohne aber gleichzeitig offen antisozialistisch (antikommunistisch) auftreten zu können, weil die eigene Basis sich weitgehend am Sozialismus orientierte.

SPD-Plakat von 1932 im Zusammenhang mit der „Eisernen Front“. Gleichsetzung von KommunistInnen und Nazis.

Historisch diente diese ideologische Grundlage vor allem in der Praxis dazu, den kommunistischen Widerstand zu bekämpfen. Entsprechend der Zuspitzung der Verhältnisse am Ende der Weimarer Republik erlebte die These des Totalitarismus dort ihre Blütezeit. Vor allem für die opportunistische Politik der sozialdemokratischen Führung Ende der 20er/Anfang der 30er gegenüber den Kräften des reaktionären und später faschistischen Blocks im Parlament war diese Ideologie die einzige Möglichkeit, das eigene Handeln des Zögerns und des teilweisen Andienens zu rechtfertigen, dabei aber gleichzeitig eine antifaschistische Haltung (an die Basis) weiterzuvermitteln. Besonders in der praktischen (Einheitsfront/antifaschistischen) Politik fanden sich heftige Ausprägungen dieser SPD-politischen Linie wieder. Gerade in der ihr nahestehenden antifaschistischen Kampforganisation „Eiserne Front“ trieb die Ideologie des Totalitarismus zum Teil absurd anmutende Blüten. Die „Eiserne Front“ verstand sich auch programmatisch als anti-faschistisch, aber gleichzeitig als anti-kommunistisch.

Antikommunistischer Konsens

Die Totalitarismusthese spielte im Nationalsozialismus als Staatsdoktrin keine Rolle, weil ein wesentlicher Grundpfeiler faschistischer Ideologie und Praxis der offene Antikommunismus/Antimarxismus und Antiliberalismus ist/

Zur Zeit des Nazi-Faschismus erwies sich die Ideologie des Totalitarismus auf Seiten der Sozialdemokratie insofern als folgenschwer, als ein Zusammenkommen der beiden Flügel der Arbeiterlnnenbewegung (SPD-orientierte und KPD-orientierte) eben auf Seiten der SPD dadurch gehemmt wurde.

Nach 1945

Nach der militärischen Niederschlagung des Nationalsozialismus reihte sich die BRD binnen kürzester Zeit in den Westblock ein und galt schon aufgrund ihrer Spaltung als Symbol des „Kalten Krieges“.

Grundlage der Position der BRD zum „Kalten Krieg“ bildete der Antikommunismus. Aber nicht nur ideologisch wurde dieser zentrale Inhalt aus den zwölf Jahren Faschismus in Deutschland weitergetragen heute wissen wir, daß eine systematische Entnazifizierung nicht stattgefunden hat. Im Gegenteil. (siehe Text zur personellen und strukturellen Kontinuität des „III. Reiches“ und der BRD, 5. 6 ff.)

Praktischer Ausdruck und vorläufiger Höhepunkt des Antikommunismus war das Verbot der KPD 1956. Antikommunismus wurde Staatsdoktrin nach innen und nach außen.

CDU-Plakat Anfang der 50er Jahre. Ungebrochen ging der offene AntiKommunismus der konservativen Kräfte weiter.

Als 1967 mit der Diskussion um Notstandsgesetze und der Bildung der großen Koalition die Neue Linke entstand, wurde die Totalitarismusthese wieder „hoffähig“. Wieder war die Sozialdemokratie mit einer linken starken Opposition konfrontiert nur blieb diesmal die Attackierung der radikalen Linken mittels latentem Antikommunismus

Immer wieder Anknüpfungspunkt für rechte/faschistische Kreise: Antikommunismus. Plakat der NPD aus den 60ern.

durch die Totalitarismus-these nicht bei Politikerlnnen stehen. Schützenhilfe bekam die „Politik der Mitte“ durch Politologlnnen und Sozialwissenschaftlerlnnen wie dem linksliberalen Jürgen Habermas, der damals den Terminus des „Linksfaschismus“ prägte, als er sich in einer Kritik der militanten Aktionsformen der Neuen Linken versuchte.

Und heute alles drängelt sich in der Mitte

Abgesehen von der Tatsache, daß der Antikommunismus der BRD immer wie der Anknüpfungspunkt für rechte Kräfte war, widerspricht dieser eben auch nicht der sozialdemokratischen „Sicht der Welt“, der Totalitarismusthese.

Ziel war und ist es immer, sich selbst als Opfer der Verhältnisse hinzustellen, als Opfer in der Mitte, das von beiden Seiten rechts wie links bedroht wird.

Die tatsächliche Praxis der „Parteien der Mitte“ läßt diese These in einem an deren Licht erscheinen. Unumwunden wird oftmals zugegeben, daß faschistische Parteien die Funktion erfüllen, reaktionäre Forderungen in die gesellschaftliche Diskussion zu tragen, damit sie nach einer gewissen Zeit von den etablierten Parteien aufgegriffen und durchgesetzt werden können. Abgesehen von der personellen Verflechtung offener Rechter beispielsweise mit dem Apparat der Polizei und der Sicherheitsorgane haben die Republikaner hinsichtlich der Änderung der Asylgesetzgebung (Artikel 16 GG) ihren Dienst als Vorreiter erfüllt. Ihre Position ist von GDU/GSU, SPD und FDP modernisiert und umgesetzt worden. Damit sind die Republikaner zunächst überflüssig worden. So zitierte die Frankfurter Rundschau in ihrer Ausgabe vom 27. September 1994 eine Äußerung von SPD-Bundesgeschäftsführer Günther Verbeugen zur bayerischen Landtagswahl: „Die Niederlage der rechtsextremen Republikaner (3,9%) sei das Ergebnis der Asylgesetzgebung des Bundestages; ‚damit sei den Republikanern der Resonanzboden entzogen‘ worden“.

Verschleierung durch Gleichsetzung

Die Umsetzung faschistischer Forderungen durch die Politik der parlamentarischen Demokratie soll propagandistisch durch die Gleichsetzung von Sozialismus und Faschismus verschleiert werden.

Gerade Veröffentlichungen des Staatsschutzes geben Aufschluß über die öffentliche Linie, die dann Grundlage der innenpolitischen Sicherheitspolitik ist. So wird behauptet, daß eine antifaschistische Ideologie die instrumentelle Parallelität roter, brauner und schwarzer Diktaturen (…) übertüncht“ (Texte zur Inneren Sicherheit, „Bedeutung und Funktion des Antifaschismus“, Bundesministerium des Inneren, 1990).

Das ist das tagtägliche Rüstzeug des Geschichtsrevisionismus die umfassende Umdeutung der Geschichte. In Parlament, Medien und dem Apparat der „Inneren Sicherheit“ wird Schritt für Schritt daran gearbeitet, die Idee/politische Perspektive, daß es überhaupt eine gesellschaftliche Alternative zum kapitalistischen System gibt bzw. geben kann, vernichtet.

Das Aufräumen mit dem historischen Antifaschismus, das mit dem „Historikerstreit“ in die offensive Phase trat (1986 eröffnet durch Ernst Nolte), hat zur Folge, daß eine Geschichtsbetrachtung einsetzt, die mit „antifaschistischen Vorhaltungen“ ein für alle mal Schluß machen will. (siehe Text zum „Historikerstreit“, 5. 29 ff.)

Für die angestrebte gewichtige Rolle der BRD in der „Neuen Weltordnung“ bedarf es eben einer Reinigung der weißen Weste von den unschönen braunen Flecken ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit.

Dieses Vorgehen dient gleichsam dazu, gegenwärtigen radikal-antifaschistischen Initiativen den Boden zu entziehen, die die historische und aktuelle Interessengemeinschaft von Kapital und Faschismus aufzeigen und die Überwindung des Faschismus nur in der Überwindung der kapitalistischen, patriarchalen und rassistischen Gesellschaftsordnung gewährleistet sehen.

Bereits 1988 brachte es der damalige Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann auf den Punkt:,,Antifaschismus ist ein politischerKamplbegriff den vorallem Kommunisten verwenden (Süddeutsche Zeitung 18.1 1.‘88).

Interessengemeinschaft

Die Interessen von faschistischen Kreisen und staatstragender Politik werden im Vorgehen gegen Antifaschistlnnen faktisch zur einenden Kampagne. Die anti-antifaschistische Praxis der militanten Faschisten erscheint jedoch im Vergleich zur anti-antifaschistischen Propaganda und Praxis des Staates als geradezu lächerlich.

Warum im Bereich des Antifaschismus von Staatsschutzseite der neue Hauptfeind ausgemacht wird, erklärt sich auch aus der Charakterisierung antifaschistischer Politik, wie sie zum Beispiel Joachim Bloch, Direktor beim Bundesamt für Verfassungsschutz, vornimmt. Er zählt folgende Merkmale auf:

• „Antifaschismus als Mittel zur Diffamierung der Bundesrepublik Deutschland, die in die Nähe des nationalsozialistischen Unrechtsstaates gerückt wird.

Antifaschismus als Grundlage für kommunistische Bündnispolitik, als Volksfrontkitt

Antifaschismus als Element der kommunistischen Machteroberung.“

Logisches Resümee für Bloch: „Freiheitliche Demokratie ist keine ‘Antifaschistische Demokratie’“ (Texte zur Inneren Sicherheit, „Bedeutung und Funktion des Antifaschismus“, Bundesministerium des Inneren, 1990).

In der Praxis angelangt dient diese Argumentation dazu, das tägliche Vorgehen gegen Antifaschistlnnen auf allen Ebenen zu legitimieren und Repression gegen emanzipatorische Kräfte zu rechtfertigen.

Anti-Antifaschismus pur

Setzten die Neofaschisten und Konservativen also zunächst mit ihrer ersten einenden Kampagne des Geschichtsrevisionismus (mit der „Auschwitzlüge“) einen gesellschaftlichen Diskussionspunkt, so haben sie mit ihrer zweiten Kampagne der des Anti-Antifaschismus voll ins Schwarze des staatstragenden Zeitgeistes getroffen. Mit dem Schwung der sogenannten Wiedervereinigung seit der endgültig alle Deutschen zu Opfern des Totalitarismus erklärt werden können soll mit einem Handstreich der Antifaschismus aus dem gesellschaftlichen Bewußtsein eleminiert werden.

Abschluß

Am Vorgehen gegen den Antifaschismus läßt sich unter anderem der Charakter dieses Systems erkennen, dem an seiner Selbsterhaltung und an der Behauptung seines Gewaltmonopols gelegen ist: Es versucht sich der linken Opposition zu „entledigen“, die sich bemüht, in Zeiten der Atomisierung und Orientierungslosigkeit der Linken eine Neukonstituierung in Gang zu setzen, die sich nicht auf die staatlich vorgegebenen „Spielregeln“ einläßt, die vielmehr den Zusammenhang von Faschismus und Kapital benennt und angeht.

Spätestens seit der Annexion der DDR durch die BRD sollen Ideologie und Praxis des staatlichen Anti-Antifaschismus zur umfassenden Diskreditierung und letztlich der Vernichtung des Antifaschismus dienen. War es in den 50er und 60er Jahren die Kommunisten-Hetze (Verbot der KPD), war es in den 70er und 80er Jahren die Terroristen-Hetze (Deutscher Herbst ‘77), so scheint sich in den 90er Jahren die Antifaschisten-Hetze als Nachfolge durchzusetzen. Damit soll der Bereich der Linken zerschlagen werden, in dem sich gegenwärtig die Gegnerschaft zum System am stärksten artikuliert und durch den Bündnisse bis hin zum bürgerlichen Lager geschlossen werden können.

April 1995