Rede eines Antifa Aktivisten der 90er Jahre zu Rostock-Lichtenhagen

Heute vor 30 Jahren traf sich der marodierende Mob gemeinsam mit der nationalsozialistischen Subkultur in Rostock-Lichtenhagen, um das „Ausländerproblem“ auf ihre Art zu lösen.

Das Ganze war nicht neu und auch kein Problem der 5 neuen Bundesländer. Aber zum ersten mal stellten sich die verantwortlichen Machteliten ganz klar vor die Täter. Es gab keinen Unterschied mehr zwischen den Aussagen des Innenministers und dem Neonazi auf der Straße. Ziel was, das Asylrecht, das aus der deutschen Geschichte entstanden war um Menschen vor Verfolgung und Tod zu beschützen, abzuschaffen – das individuelle Recht auf Asyl sollte gekippt werden.

Der deutsche Mob hatte angegriffen, wurde gedeckt von der Politik, die Polizei kam nicht zum Einsatz, wollte selber nicht oder wurde überfordert zurückgelassen. All dies erlebten wir dort in geballter Form. Von antifaschistischer Seite wurde alles bis ins kleinste recherchiert, aber das Interesse an einer wirklichen Aufklärung gibt es bis heute nicht. Lediglich eine Person ist tatsächlich angeklagt worden, obwohl es umfangreiches Filmmaterial gibt, das die Angreifenden deutlich zeigt.

Rostock-Lichtenhagen war ein vorläufiger Höhepunkt der rassistischen Pogrome in den 90er Jahren und spülte viele Menschen in die Antifagruppen, die sich nicht mehr mit dem deutschen „Rechtsstaat“ identifizieren konnten. Es war der Bruch mit dem Staat, der nicht für alle Menschen sorgt, sondern Menschen wie Dreck behandelt, als wenn sie nicht dazu gehörten.

Es war nicht der Anfang und nicht das Ende des rassistischen Terrors und der neonazistischen Gewalt. Wir erleben sie bis heute. In den 90er Jahren hatten wir bereits die Fortsetzung der neonazistischen Gewalt der 80er, die sich nun in allen Städten ausbreitete, selbstverständlich auch hier in Koblenz. Die kleinen Rostock-Lichtenhagens gab es eben überall, weil es keine Unterstützung für die engagierten Menschen vor Ort gab. Die, die sich in ihrer Stadt, in ihrem Dorf eingesetzt haben für Geflüchtete, die zur damaligen Zeit vor allem aus den osteuropäischen Staaten und aus dem Nahen Osten kamen, wurden alleingelassen, von staatlicher Seite kriminalisiert und von rechts gewalttätig angegriffen.

Für mich war dieses Pogrom selbstverständlich auch ein Bruch, aber ich hatte in den Jahren zuvor bereits erlebt, wie viele meiner Freundinnen und Freunde von Nazis bedroht und als Höhepunkt auch mit scharfen Waffen beschossen wurden. Deswegen waren die Illusionen nicht groß.

Das einzige was half und ich denke mal auch bis heute hilft ist, das wir Antifa Strukturen dagegen aufgebaut haben. In dem Kinofilm „Und morgen die ganze Welt“ von Julia von Heinz wird dieser militante Widerstand gezeigt. Er ist ein Beispiel dafür, wie die Auseinandersetzungen ausgesehen haben. Er vermittelt einen Eindruck davon, was es dagegen gegeben hat in den 90er Jahren.

Die militante Gegenwehr aber auch die aufkommende Öffentlichkeitsarbeit der Antifabewegung, und ich war eben auch ein Teil davon, hat auch dazu geführt, dass Nazistrukturen zerschlagen wurden, und das gehörte immer wieder zu den Höhepunkten des politischen Engagements. Manche Dinge sind eben Handarbeit, und eine Nazikneipe schließt sich nicht von selbst.

Gleichzeitig gilt unsere Solidarität immer denen, deren Städte zu Nazihochburgen werden, wie z.B. in Chemnitz, an euch ein ganz lautes:

„Ihr seid nicht allein!“

Egal welche Partei regiert, ich denke, wir können nicht auf sie bauen und wir sollten nicht auf sie hören.

Das sind zumindest die Lehren, die ich aus den 90er Jahren ziehe. Egal ob SPD, die Grünen; FDP oder CDU, sie haben alle immer die Opferzahlen rechter Gewalt geschönt und nach unten korrigiert. Selbst die Zahlen die heute von der Amadeu-Antonio-Stiftung veröffentlicht werden, sind weit unter den Realitäten.
Unser Gegner der Verfassungsschutz, der Staatsschutz, Polizei und Justiz haben es immer wieder geschafft, viel unter den Tisch zu kehren und rechte Taten zu entpolitisieren.

Es wird auch in Zukunft unsere Aufgabe sein, immer wieder die Maske herunter zu reißen, und dies auch immer wieder antibürgerlich und radikal zu tun.

In diesem Sinne:
Für die Freiheit, für das Leben!