1. Juni 2019 – Antifademo in Chemnitz

FotoIn der offiziellen Berichterstattung von etablierten Medien und der Polizei ist durchgängig von einer friedlichen Demo die Rede. Hier war gar nichts friedlich. Erstens fällt es uns schwer, das verhalten der Polizei, die schon von Beginn an ein aggressives Verhalten an den Tag legte, als friedlich zu bezeichnen. Zweitens ist es schlicht eine Beleidigung für alle, die sich organisiert gegen Rechte engagieren, unseren Protest beinahe zu verschweigen und das im sicheren Abstand stattfindende „Kinderfest“ als betont friedlichen Teil des Protestes hervorzuheben.
Aber fangen wir von vorne an…

Bereits am Anfang der Proteste hatten sich mindestens 50 Menschen auf der Route der Nazidemo niedergelassen, um sich auszuruhen. Währenddessen durchfloss die Polizei immer wieder unsere Reihen mit der eindeutigen Absicht, Unruhe in die gerade beginnende Kundgebung zu bringen. Der Einsatz der Kontaktpolizei ist auch eher als Provokation zu verstehen, weil sie die Demoteilnehmer*innen immer wieder aufforderte, enger zusammen zu stehen und damit zu verhindern, dass die gesamte Kreuzung blockiert werden konnte. Zum gleichen Zeitpunkt ging die Nazidemonstration am Hauptbahnhof los. Ein fotografierender Journalist wurde von der Polizei unter Gewalteinsatz festgenommen und konnte seine Arbeit deshalb nicht fortführen.

Schließlich hatten es circa 2000 Menschen geschafft, zusammen zu kommen, trotz Vorkontrollen und polizeilich-militärischer Präsenz. Vor allem ist dies der konsequenten Vorbereitung der Antifaschist*innen vor Ort zu verdanken. Als die Nazis auf der Rückseite der Kundgebung vorbei zogen, bekamen sie laute und entschlossene Antworten. Am Naziaufmarsch nahmen 270 Personen teil, hauptsächlich Personen, die zu dem Umfeld der Partei „Die Rechte“ aus dem Ruhrgebiet zu zählen sind. Auf Grund einer Auflage der Polizei durften sie während sie laufen, nicht ihre Marschtrommeln benutzen. Deswegen bewegte sich der lächerliche Nazihaufen im Schneckentempo durch die Chemnitzer Innenstadt. Nachdem die rechte Demo zum ersten Mal vorbei gezogen war, gingen auch wir los. Lautstark und entschlossen, von der Grünen Jugend über Fridays for Future über ganze Familien aus Chemnitz bis zu politisch organisierten Gruppen von Antifa bis FAU.

Nach wenigen hundert Metern wurde die Demonstration von der Polizei gestoppt. An dieser Kreuzung zog der Naziaufmarsch noch mal vorbei. Die Polizei zog Kräfte und Material zusammen, als wenn es sich hier um einen Bürgekrieg handelte. Ein kurzer Durchbruchversuch aus der Antifademo heraus scheiterte und uns blieb nur der verbale und akustische Protest gegenüber der sich als Elite verstehenden rechten Demonstration. Schließlich kam die Demo doch durch und es ging es gemeinsam zum Konzert von Waving the Guns am Karl-Marx-Kopf. Hatten viele gedacht, dass jetzt Entspannung angesagt ist, zeigte das BFE eindrucksvoll, wie es mit 10 Polizisten einen Menschen festnehmen kann. Desweiteren wurde einige Zeit später ein weiterer Mensch vom BFE festgenommen. Auch hier stellt sich die Frage, von wem die gewalttätige Provokation ausgeht.

Das Naziproblem, das seit Jahrzehnten in Sachsen und in Chemnitz existiert ist nicht nur das Ergebnis einer gut organisierten militanten Szene, sondern ebensosehr – und das zeigte sich einducksvoll am verhangenen Samstag – das Resultat einer langen Tradition des Wegsehens. Zum einen fällt die sächsische Polizei immer wieder negativ auf, wenn Verstrickungen ins neonazistische Millieu bekannt werden. Zum anderen ist das wirklich Beunruhigende an der politischen Situation in Sachsen der weit bis in bürgerliche Kreise rechende rassistische Konsens. Da verwundert es nicht, dass antifaschistischer Protest kriminalisiert und verschwiegen wird! Stattdessen berichtet die bürgerliche Presse durchweg lobend vom friedlich stattfindenden „Kinderfest“, das weit entfernt vom Naziaufmarsch stattfand. Als ob man dadurch den Nazis etwas entgegen gesetzt hätte.

Auch in Redebeiträgen wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass von SPD oder CDU im Stadtrat nichts zu erwarten ist. Die SPD Bürgermeisterin hatte sich bereits vor langer Zeit von den #wirsindmehr Protesten distanziert, statt dies als Chance zu begreifen, um rechte Gruppierungen zurückzudrängen. Am aktivsten im Protest gegen die ständige Präsenz von rechten Gewalttätern auf der Straße sind Jugendliche und junge Leute, die neben migrantisch aussehenden Menschen auch den Übergriffen am ehesten ausgesetzt sind. Auch am Tag selber wurde mindestens ein junger Mensch und abends noch eine Familie von Nazischlägern angegriffen. Eine Genossin von „RASSISMUS TÖTET“ berichtete über die Hintergründe von 19 rechtsmotivierten Morden in Sachsen seit 1991.
Jetzt war spätestens klar, warum so viele nach Chemnitz gekommen waren.

Kaltland nicht aufgeben – Pogrome verhindern bevor sie geschehen
Wir sehen uns auf der Straße.